Nach einer gehörigen Mütze Schlaf frühstücken wir seit langer Zeit mal wieder schaukelfrei. Währenddessen organisiert Götz seinen Rückflug. Er kann morgen Vormittag tatsächlich einen halbwegs erschwinglichen Lift nach Festlandseuropa ergattern. Allerdings müsste er dann schon morgen früh vor Tagesanlicht ein Taxi nehmen, um rechtzeitig am Flughafen einzutreffen. Er entschließt sich daher, lieber heute schon das Schiff zu verlasen und die Nacht in einem Hotel direkt neben dem Flughafen zu verbringen. Am Sonntagnachmittag wird dann Robert auf dem Flughafen eintreffen, der mich auf der Etappe von Horta nach Portugal begleiten will.

Mittlerweile nehme ich per Sprechfunk Kontakt mit den Hafenbehörden auf. Wir müssen einklarieren, einen Liegeplatz im Hafen bekommen und tanken. Von unserem Ankerplatz können wir den Anlegeplatz vor dem Marinabüro sehen. Dort liegt noch ein anderes Schiff. Als das ablegt, wollen wir den Anker aufholen und dort anlegen. Als die Ankerkette kurzstag kommt, sich also strafft, um nun den Anker anzuheben, stoppt die Ankerwinde, der Bug neigt sich fast unmerklich nach unten, schließlich springt der Sicherungsautomat raus. Was ist das denn? Hängt etwa der Anker fest? Hakt der Anker an einem Stein, hilft es meist, vorwärts zu fahren, den Anker vom Hindernis zu lösen und dann aufzuholen. Also fahre ich vorwärts über das "Hindernis" hinweg. Der Anker kommt nicht frei. Ich fahre kreuz und quer, um den Anker irgendwie zu lösen - ohne Erfolg. Ich erinnere mich dunkel, dass in der Navily-App ein Kommentar sinngemäß besagte: "Vorsicht beim Ankern im Hafen! Der Grund ist unrein, es liegt eine Menge Schrott da unten." Da haben wir den Salat.

Aus eigener Kraft kommen wir offensichtlich nicht frei. Bei fünf bis sechs Metern Wassertiefe kann ich sicher nicht im trüben Hafenbecken selbst tauchen, um zu sehen, was da unten los ist. Es muss ein Profi ran. Ich funke mit der Hafenmeisterei. Der Mann verspricht Hilfe, man will einen Taucher organisieren. Kurze Zeit darauf kündigt er an, dass eine Taucherfirma sich bei mir per Handy melden wird. Das passiert auch tatsächlich. Heute klappt's leider nicht mehr, aber morgen - wahrscheinlich. Als erstes erhalte ich per E-Mail einen Kostenvoranschlag. Um die dreihundert Euronen. Schluck. Na gut, hilft ja nichts. Ich bestätige. Die freundliche Dame will in Kürze Details mitteilen.

Nächste Maßnahme: Beide kleinen Vorsegel sind kaputt. Bevor ich zur nächsten Etappe aufbreche, muss mindestens eins davon repariert sein. Im Internet finde ich einen Segelmacher, der verspricht, auch außerhalb der normalen Öffnungszeitenund am Wochenende tätig zu werden. Das sei er gewohnt, wenn Atlantiksegler in den Hafen kommen, muss es manchmal schnell gehen. So auch bei uns. Ich nehme Kontakt auf. Die Dame bittet mich, kurz Bescheid zu geben, wann und wo sie die Segel abholen können. Die Kosten können sie erst abschätzen, wenn sie die Schäden an den Segeln gesehen haben.

Inzwischen bedauert die Dame der Taucherfirma, dass heute definitiv nichts mehr geht. Sie brauchen erst die Genehmigung der Hafenbehörde für den Tauchgang, und die Mühlen der Ämter mahlen hier langsam.

Angesichts der Tatsache, dass wir so schnell nicht von unserem Ankerplatz wegkommen, frage ich beim Hafenmeister nach, ob sie Götz mit einem Boot abholen können. Ansonsten müssten wir extra für diesen kurzen Einsatz unser Schlauchboot aufpumpen. Kein Problem, sie schicken ein Shuttle-Boot vorbei. Götz sucht seine Siebensachen zusammen, packt Reisetasche und Rucksack. Gerade als er fertig ist, legt ein RIB (Schlauchboot mit festem Boden) bei uns an. Der junge Mann hilft Götz beim Annehmen des Gepäcks, ganz kurzer Abschied, dann sind die beiden weg. Das ging jetzt aber sehr schnell. Zu schnell, finde ich. Trennungsschmerz?

Ich überlege, was ich ohne Landkontakt noch erledigen kann. Inzwischen ist später Nachmittag. Ich bereite etwas Essbares zu und spanne einfach aus - die letzte Nacht war kurz genug.

Fuß Windgenerator

Der Mast für den Windgenerator ist aus seinem Fuß herausgerutscht

Samstag, 26. März 2022

Nach dem Frühstück meldet sich die Frau der Taucherfirma. Sie werden am Vormittag den Job erledigen. Ich solle mich bereithalten. Tatsächlich sehe ich zur angegebenen Zeit ein Schlauchboot an der Slipbahn des Hafens, das mit Tauchausrüstung beladen wird.

Die Gruppe besteht aus einem älteren Mann in Vollneopren, einer Frau im grünen Regenmantel und einem jüngeren Mann in Neopren, aber ohne Kopfhaube. Der bedient den Motor des Bootes. Die Frau ist offenbar die, mit der ich telefoniert und E-Mails ausgetauscht habe. Neben Joli Ame angekommen, begibt sich der ältere Mann ins Wasser und taucht neben der Ankerkette ab. Als er wieder auftaucht, gibt er Zeichen, ich möge ein paar Meter vorwärts fahren. Er taucht wieder. Als er hochkommt, zeigt sein Daumen nach oben. Ich betätige die Ankerwinsch, und? Jubel, der Anker kommt hoch. Rufend verständige ich mich mit der Frau, dass wir den Weg der Bezahlung per E-Mail klären.

Endlich frei! Mir fällt ein Stein vom Herzen. Was kommt als nächstes? An der Kaimauer vor der Hafenmeisterei und Tankstelle liegt ein anderes Boot, das gerade tankt. Dort anlegen kann ich also noch immer nicht. Aber der Tankvorgang wird irgendwann beendet sein. Ich zuckele in das geräumige Becken zwischen Tanke und Marina und drehe dort Wartekringel. Der Wind hat inzwischen auf Nord gedreht. 

Ich warte. Und warte. Inzwischen ist eine Dreiviertelstunde vergangen, die britische Hallberg-Rassy, die betankt wird, ist immer noch nicht fertig. Amüsant: Sowohl Skipper-Senior wie auch ein junger Mann (Sohn?) haben zwar dicke Schwerwetterjacken an, aber untenrum kurze Hosen. So sind sie, die Briten.

Während ich da so vor und zurück treibe, ruft mir ein Bootsmann des Windjammers nebenan zu, ob ich Hilfe brauche? Es ist die Thor Heyerdahl, das "Segelnde Klassenzimmer". Er repariert gerade mit ein paar Schülern etwas am Baum des Großsegels. Ich bedanke mich freundlich, geht schon. Inzwischen regnet es wieder in Strömen.

Verschnürung Windgeneratormast

Die zahlreichen Versuche, mit Tampen den Windgeneratormast zu sichern, haben zu einer illustren Verschnürung geführt

Die ganze Wartezeit mit laufendem Motor im Vorbecken der Marina zu treiben, macht wenig Sinn, das dauert noch. Ich mache rückwärts an einem Stegkopf fest. In der Zwischenzeit kann ich schon einmal eine Bestandsaufnahme der Reparaturen machen, die bis Sonntagabend zu erledigen sind. Heute auf dem Programm: Wäschewaschen; zwei Vorsegel zur Reparatur vorbereiten; die Verlängerung der Sprayhood gleich mitgeben, denn da ist eine Naht nachzunähen; Windgeneratormast abbauen; Ersatz für Dieselfilter besorgen; neue Schot für kleines Vorsegel; Alternativlösung für Großschotfußblock; Gasflasche befüllen für's Kochen ohne Induktionsplatte; und, und, und.

Morgen, am  Sonntagnachmittag, wird Robert aus Graz mit dem Flieger eintreffen, der mich auf der letzten Etappe bis nach Portugal begleiten wird. Was aus der Liste kann ich heute allein erledigen, was besser mit Roberts Hilfe?

Nach einer halben Ewigkeit legt endlich die Hallberg-Rassy von der Tanke ab. Ich werfe die Heckleine los und mache an der Pier mit der Zapfsäule fest. Papiere greifen, zum Hafenmeister und zum Einklarieren. Das Ganze geht gemessen an den Prozeduren in den Zwergstaaten der Karibik sehr zügig vonstatten. PCR-Test? Wieso, sie waren doch einen knappen Monat auf See! Nun ja, Routine haben sie hier schon wegen der zahllosen durchreisenden Yachten auf Ozeanüberquerung.

Die Tankstelle ist allerdings von der britischen Hallberg-Rassy hoffnungslos leergesoffen. "Wir müssen auf den Tankwagen warten. Der kommt erst am Montag." Seufz, nun denn. Gleiches Schicksal wie am Montag nach dem Start der ARC-Flotte aus Las Palmas de Gran Canaria. Aber bis Montag gibt es ohnehin reichlich zu tun.

Fußpunkt Windgeneratormast-Strebe

Eine Diagonalstütze des Windgeneratormastes hat seine Verschraubung losgearbeitet und danach eine gehörige Schramme im Schanzkleid aus Teak hinterlassen

Nach dem Einklarieren kehre ich zurück an den Kopf des Steges gleich gegenüber. Weil es wieder tüchtig weht und regnet, rufe ich zur Thor Heyerdahl hinüber, dass ich jetzt Leinenhilfe gut gebrauchen könnte. Kurz darauf machen sich etwa fünf Schüler einmal rund um das Hafenbecken im Laufschritt auf den Weg herüber auf meinen Steg. Fleißig nehmen sie die Leinen an, machen fest. Ein bisschen Small Talk folgt. Sie haben nach Monaten an Bord heute ihren letzten Tag, morgen früh geht es nach Hause. Sie stehen unschlüssig auf dem Steg und treten nicht den Rückweg an. Der Gedanke, sie auf einen kurzen Bordrundgang einzuladen, kommt mir gar nicht. Unten herrscht noch zu viel Chaos. Aber vielleicht hatten sie darauf gehofft? In Sachen Belohnungs- und Trinkgeldkultur bin ich manchmal schwer von Begriff. Allerdings gehört für mich Leinen annehmen beim Anlegen zu den Selbstverständlichkeiten des Seglerlebens.

Ich stöpsele das Landstromkabel am Steg an. Strom aus der Steckdose habe ich seit St. Lucia nicht mehr gehabt - was für ein Luxus! Das große Reinemachen beginnt. Der Rucksackstaubsauger röhrt vor sich hin, bis - ja, bis er erstirbt. Das kenne ich schon, wegen Überhitzung schaltet er sich ab. Ich will die Kaffeemaschine mit Landstrom in Betrieb nehmen. Häh? Kein Saft vom Steg? Wieso das denn? Ich pilgere zur Anschlusssäule auf dem Schwimmsteg. Sicherungsautomat hat ausgelöst. Ich drücke die Taste hoch, sie fliegt gleich wieder raus. Was bitte stimmt da nicht? Wird da zu viel Leistung abgefordert, sodass die Stromstärke zu hoch für die Sicherung ist? 16 Ampere steht an der Säule, also an sich kein Problem. Ich gehe auf Fehlersuche und werde nicht fündig. Das Problem muss wohl bei mir an Bord liegen. Egal, weiter in der ToDo-Liste.

Schiefer Windgeneratormast

Windgenerator mit nur zwei Rotorblättern am schiefen Mast. Im Hintergrund rechts das Heck der Thor Heyerdahl mit deutscher Nationalflagge.

Fegen, wischen, putzen, Bettwäsche abziehen - das Großreinemachen unter Deck geht weiter. Schließlich möchte Robert eine saubere Kabine und Nasszelle beziehen. Götz ist recht überstürzt abgereist und hatte zu Reinigungsarbeiten keine Gelegenheit mehr.

Nach getaner Putzlappenorgie ist die Sonne herausgekommen. Jetzt habe ich mir erst einmal eine Dusche an Land verdient. An Bord wäre zwar genug Wasser im Tank, aber ohne Landstrom bleibt der Boiler kalt. Bei der Gelegenheit sondiere ich gleich die Lage bei den Waschmaschinen. Man zahlt an einer Art Rezeptionsschalter im Sanitärgebäude an der Nordseite des Hafens, allerdings nur bis 16 Uhr! Gleich nebenan bietet eine kleine Bar Stühle und Tische im Freien an, die auch gut besucht sind.

Am Nachmittag holt das Segelmacherpaar meine beiden Vorsegel und die zu nähende Sprayhooderweiterung ab - sehr sympathische Menschen! Fertigstellung bis Montag Mittag? Kein Problem. Sie haben zwar noch andere Aufträge abzuarbeiten, wird aber klappen. Noch auf dem Steg rollen sie die Segel aus und ziehen angesichts der Schäden die Augenbrauen hoch. Sie wollen das irgendwie hinkriegen, eine Kostenschätzung wagen sie allerdings nicht. Wie bei den Tauchern ist auch hier die junge Frau für Kommunikation zuständig, weil der englischen Fremdsprache mächtig, während die Herren die Fachleute sind.

Bis zum Abend bin ich in Aktion. Zum Feierabend gönne ich mir einen netten Film auf dem iPad, schließlich habe ich hier endlich wieder europäischen Internetzugang.

Schwimmsteg der Marina

Schwimmsteg der Marina Horta, Blick nach Süden. Geradeaus mittig am Ende des Steges ragt der Mast von Joli Ame empor.

Sonntag, 27. März 2022

Mit der Orga-Frau der Taucher verabrede ich mich für den Nachmittag zur Barzahlung ihres Einsatzes. Nachdem alles, was ich allein erledigen konnte, abgehakt ist, habe ich noch ein, zwei Stündchen Zeit. Die nutze ich für einen kleinen touristischen Landgang. Ich begebe mich unter anderem zum berühmten Peter's Café Sport, seit Jahrzehnten die Seglerkneipe schlechthin, ein Muss für jeden, der in Horta festmacht. Leider ist die Bar geschlossen und macht erst am Dienstagabend wieder auf. Ach, wie jammerschade!

Gerade habe ich mich nach Barzahlung am Stegtor und Austausch von sehr freundlichen Worten von der Taucherfrau  verabschiedet, hält ein Kleinbus auf der Pier. Ist das etwa Robert? Tatsächlich! Wir begrüßen uns herzlichst, schließlich haben wir uns viele Jahre nicht mehr persönlich gesehen.

Häuserzeile gegenüber der Marina

An der Wasserfront gibt es viele historische Gebäude mit bunten Fassaden, die meisten davon denkmalgeschützt. Einem alten Brauch folgend hinterlässt jede Yacht an der Hafenmauer eine selbst gemalte Visitenkarte aus an Bord vorhandenen Farbresten. Mangels Farbtöpfen, Zeit und freien Stellen auf der Hafenmauer unterbleibt diese Souvenir-Hinterlassenschaft für unser Schiff.

Robert richtet sich erst einmal an Bord häuslich ein. Er hat uns als Gastgeschenk eine Handvoll selbstgefertigter Dyneema-Textilschäkel mitgebracht. Einer, den ich vor Abreise in einem Anflug von Vorahnung bei SVB in Bremen erworben hatte, konnte bis hierher am Fußblock der Großschot einen guten Job machen, einen weiteren hatte ich auf Union Island verwendet, um die Dirk des Großbaums zu reparieren. Die Leistungsfähigkeit dieser angenehm leichten Schäkel habe ich also zu schätzen gelernt. Danke, Roberto!

Inzwischen ist es dunkel geworden, uns hängt der Magen in der Kniekehle. Robert möchte mich zum Dinner einladen. Die Recherche bei Google Maps ergibt mehrere Anlaufpunkte. Das Restaurant mit dem besten Eindruck ist knallvoll, kein Tisch, nicht einmal Platz an einem schon besetzten Tisch ist frei. Gern könnten wir für morgen Abend reservieren. Ja, danke. Das hilft uns jetzt nicht weiter. Wir streifen die ganze Hauptstraße entlang und finden nur ein einziges geöffnetes Restaurant, ein Asiate, nach dem uns aber nicht der Sinn steht. Wir suchen weiter, leider ergebnislos. Also zurück zu dem Asiaten. Irgendwas machen wir falsch, denn wir finden ihn nicht mehr. Stirnrunzeln. Sind wir ins Gespräch vertieft einfach vorbeigelaufen? Hatte er vielleicht einfach schon zu? Keine Ahnung. 

Letzte Möglichkeit: Direkt gegenüber der Marina gibt es etwas unromantisch in einem Parkhaus noch eine gut besuchte Bar, die geöffnet hat. Wir fragen, ob es etwas zu Essen gibt? Ja, zwar nur Kleinigkeiten wie Burger und so, aber wenn wir uns schnell entscheiden, bekommen wir noch etwas. Schließlich ist es schon kurz vor zehn. Also ordern wir kurzentschlossen, dazu ein süffiges Bier - lecker! Noch ein zweites, bitte! Mein erstes fremdgekochtes Essen seit... keine Ahnung! Tortola? Richtig, in Road Town mit Schwiegermutter, vor ungefähr zwei Monaten.

Kirche in Horta

Kirche in Horta

Montag, 28. März 2022

Heute haben wir sehr viel vor. Robert hat einen Ship Shop ausfindig gemacht, der auch Gasflaschen zum Befüllen annimmt. Wir machen uns auf den Weg dorthin. Dort angekommen wird unsere Gasflasche beschriftet, es stehen schon zwei weitere da. Am Nachmittag um vier kann sie abgeholt werden.

Als nächstes ordern wir eine neue Schot für das kleine Vorsegel, nein, besser gleich drei. Denn die können auch die Rollreffleinen ersetzen, wenn die nach nunmehr 17 Jahren an ihre Altersgrenze kommen sollten. Die richtigen Dieselfilter sind vorhanden und noch so einiges anderes, was auf unserem Wunschzettel steht.

Als es um eine kreative Lösung für den Ersatz des Großschotfußblocks geht, ist die junge Verkäuferin in Ausbildung überfordert. Der Chef kommt, spielt mit uns alle Möglichkeiten mit dem vorhandenen Material an Schäkeln und Blöcken durch. Wir drei, Robert, Chef und ich, verstehen uns prächtig und spielen uns schlagfertig die Bälle einer amüsanten Konversation zu. Als ich meine Adresse angebe, stutzt der Chef. "Ich dachte, ihr seid Russen." "Noch nicht", antworte ich in Anspielung auf den Überfall Putins auf die Ukraine. Der Chef versteht und will sich ausschütten vor Lachen. 

Schließlich verlassen wir gut bepackt und um über 400 Euros erleichtert den Laden. Was wir leider noch nicht haben, sind Ersatzsicherungen für den Autopiloten. Wir fragen in einem Elektroladen: Sorry, wir haben nur Sicherungen für Schaltschränke mit 220 V. Wir meinen, gestern Abend ein Schaufenster mit Autoteilen gesehen zu haben. Das finden wir nicht mehr. Also gut, zurück zum Schiff.

Robert in der Pantry

Robert in der Pantry

Wir demontieren den Windgeneratormast und fixieren ihn unter dem Salontisch so, dass er weder klappert noch im Weg ist. Vom Generator selbst demontieren wir die Rotorblätter und verstauen alles gut gepolstert, damit die Lager keinen Schaden nehmen. Das Bimini wird wieder an Ort uns Stelle montiert, dabei versuchen wir, die verzogenen Edelstahlstützen wieder einigermaßen in Form zu bringen. Weil es aber doch im März/April eher frisch ist und wir froh sind über jeden Sonnenstrahl, der uns im Cockpit erwärmt, klappen wir das Bimini ein und ziehen die Schutzhülle über die Persenningwurst.

Am frühen Nachmittag kommt das Segelmacherpaar und liefert die beiden kleinen Vorsegel sowie die Sprayhoodverlängerung wieder an. Der gute Mann hat einen sauberen Job gemacht. Stolz rollt er auf dem Steg beide Segel aus und zeigt sein Reparaturwerk. Wir loben beide, und wieder wechseln über 600 Euro den Besitzer.

Wir fragen, ob inzwischen der Tankwagen da war. Ja, wir können tanken. Robert versucht derweil sein Glück mit den Sicherungen in einer Autotankstelle an einer Hauptstraße Richtung Supermarkt. Mein Tankwart an der Bootstankstelle hat zwei Mädels in seinem Kassenverschlag sitzen. Er selbst kümmert sich um irgendetwas anderes. Ob die beiden Mädchen Praktikantinnen, Auszubildende oder einfach nur Enkelin und Freundin sind, erfahre ich nicht. Allerdings bekomme ich Schnappatmung, als ich auf den Dieselpreis an der Zapfsäule blicke. Robert hatte mich schon darauf vorbereitet, dass durch den Kriegsbeginn in der Ukraine die Spritpreise gewaltig in die Höhe geschossen sind. Weitere 650 Euro wandern in die Tankstellenkasse. Der kassierte Betrag stimmt nicht exakt mit der Anzeige der Zapfsäule überein, die Mädels verlangen ca. 10 Euro mehr. Pauschale Zapfgebühr? Trinkgeld für die beiden gleich eingerechnet? Ich zahle ohne weitere Diskussion.

Zurück am Liegeplatz, ziehe ich eins der beiden Vorsegel in die Nut der Rollanlage. Die neue Schot fädele ich durch die Umlenkungen, passt. Inzwischen ist Robert mit sieben Sicherungen von der Autotankstelle zurück. Er hat alle 1-Ampere-Sicherungen genommen, die da waren. Inzwischen ist es früher Abend geworden. Die Hafenmeisterei schließt um acht Uhr. Und wir brauchen noch Lebensmittel. Ich mache mich zu Fuß um das Hafenbecken herum auf zum Ausklarieren. Der Mann in der Hafenmeisterei ist sehr entspannt, als es um die Chipkarte für den Stegzugang geht. Wenn das Büro am Abend geschlossen ist, gibt es einen Nachtdienst, der die Stege kontrolliert. Dem sollen wir einfach die Stegkarte in die Hand drücken, bevor wir ablegen.

Es gibt zwei Lebensmittelläden, einen kleinen gleich am Hafen und einen größeren Supermarkt etwas weiter, neben der Tankstelle, wo Robert die Sicherungen geholt hat. Der Laden am Hafen schließt um acht, der Supermarkt erst um neun. Wir eilen los, denn inzwischen ist es Viertel vor acht. Um fünf vor stürmen wir den Minimarkt. In Windeseile suchen wir alles, was wir gut gebrauchen können, zusammen. Der Kassierer ist locker und wartet geduldig, bis wir unseren Einkauf beieinander haben. Als wir um zehn nach acht den Laden verlassen, stellen wir fest, dass wir im Grunde alles haben, was wir bis Portugal brauchen. Den Weg zum großen Supermarkt können wir uns eigentlich sparen. Machen wir auch.

Auf dem Schiff verstauen wir die Einkäufe und kochen noch schnell eine große Portion Spaghetti, damit wir für die Nacht gerüstet sind. So, jetzt müssen wir nur noch die Stegkarte loswerden. Ich eile los, um den Nachtwächter irgendwo auf den Stegen zu finden. Keine Ahnung, wo der sich rumtreibt. Weil ich nun schon einmal um das ganze Hafenbecken herumgelaufen bin, komme ich schließlich zur Thor Heyerdahl. Dort wird auf der Pier gegrillt, denn die vorigen Schüler sind heute morgen abgereist, und die neuen, die heute Nachmittag eingetroffen sind, haben jetzt Begrüßungsparty. Ich bitte einen der Stammbesatzung, dem Nachtdienst meine Chipkarte zu geben. Macht er und wünscht uns eine gute Reise.

Zurück an unserem Steg, kommt mir der Nachtdienst am Stegtor entgegen. Ich erkläre ihm, dass ich die Chipkarte dem Bootsmann der Thor Heyerdahl gegeben habe. Er braucht einen Moment, um zu verstehen, denn sein Englisch ist nicht das beste. Aber okay, alles klar.

Es ist kurz nach zehn, als wir die Leinen loswerfen und auf die Hafenausfahrt zusteuern. Dortselbst funkt uns noch Horta Pilot an. Es kommt eine Fähre von der Nachbarinsel auf die Einfahrt zu, wir sollen vorsichtig sein und ihr Platz machen. Alles klar, machen wir. Als wir um die Mole herumbiegen, sehen wir die Fähre in einer Seemeile Entfernung. Überhaupt kein Problem, wir kommen uns keinesfalls in die Quere.

Wir nehmen Kurs entlang der Ilha do Pico und dann weiter Ostsüdost nördlich an der Ilha de Sao Miguel vorbei. Mit dem leichten Nordwind kommen wir gut voran. Es nebelt zwar ein wenig, sodass der Leuchtturm auf dem Westkap der Insel erst spät in Sicht kommt, aber über uns leuchten die Sterne. Robert ist euphorisch und freut sich, dass es jetzt wirklich losgeht für etwa eine Woche über den offenen Atlantik. Weil er aber mit der Bedienung des Bootes noch nicht vertraut ist, bleibe ich bis zur Passage der letzten Insel wach. Das Lichtermeer an Steuerbord sieht super aus. Den letzten Internetkontakt per Handy querab der Insel nutzen wir für Grüße an die Lieben und einen letzten Wetterabruf. Dann geht es in eine ruhige Segelnacht hinaus.

Sonniger Tag

Sonniger erster Tag

Dienstag, 29. März 2022 und
Mittwoch, 30. März 2022

Der nächste Morgen begrüßt uns mit einschlafendem Wind. Hilft nichts, die Maschine muss ran. Wie bei der ersten Etappe der Atlantiküberquerung verbrennen wir schon am ersten Tag viele Liter Diesel. Aber wir genießen die Sonne. Endlich darf wieder dank des üppigen Vorrats an Ersatzsicherungen der elektrische Autopilot steuern.

Der Wetterbericht verheißt für die nächsten Tage frische Winde aus Nord bis Nordost. Gegen Ende der Etappe soll der Wind zunehmen - das dicke Ende kommt am Schluss.

Am Abend kommt der erwartete Wind. Wie zu erwarten war, aus Nord, denn wir verlassen das Azorenhoch Richtung Osten. 

394 nm

Nach fast 400 Seemeilen haben wir eine Durchschnittgeschwindigkeit von 5,9 Knoten auf der Uhr

Robert hat dankenswerterweise seinen Garmin Inreach Mini mitgebracht. Meiner ist ja wegen korrodierter Kontakte gestorben. Das ermöglicht uns wieder Kommunikation mit daheim und das Einholen von rudimentären Wetterberichten.

Die Wachwechselroutine spielt sich auch bei Robert schnell ein. Er hat sich für einen Wintertörn im Januar auf dem Solent (zwischen Southampton und der Isle of Wight) mit exzellenter Schwerwetterkleidung ausgerüstet, inklusive Schutzbrille gegen fliegende Gischt. Die brauchen wir glücklicherweise nicht. Es gibt meist "kleines" Frühstück und am späten Nachmittag ein warmes Gericht, zwischendurch mal einen Power-Riegel. Weil im weiteren Verlauf der Seegang von schräg vorn zunimmt und somit die Schlaglochpiste holperiger wird, bereiten wir in diesen Tagen Treckingmahlzeiten zu, von denen noch genug an Bord sind.

Position nach 394,5 nm

Unsere Position nach 394,5 Seemeilen

Donnerstag, 31. März 2022

Nach knapp 400 Seemeilen haben wir eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 5,9 Knoten erreicht. Das ist gemessen am Hinweg über den Antlantik und erster Etappe des Rückweges eher etwas sparsam, aber wir hatten erst gar keinen und dann Wind von schräg vorn, was in Verbindung mit der zugehörigen Welle ebenfalls von schräg vorn bremst.

Unsere Position: 37° 48' 51,828" N, 20° 35' 22,902" W

Schnappszahl bis zum Ziel

Noch 555,5 Seemeilen bis Lagos - allerdings Luftlinie

Kurze Zeit später und zwei Seemeilen weiter steht als Entfernung zum Ziel Lagos eine Schnapszahl auf dem Kartenplotter: noch 555,5 Seemeilen!
Unsere Position: 37° 49' 4,38" N, 20° 33' 39,12" W

Wegen des im weiteren Verlauf aus Nordnordost wehenden und stärker werdenden Winds versuchen wir möglichst weit nach Norden vorzuhalten, denn wenn das "dicke Ende" kommt, werden wir nur schwerlich das Cabo de Sao Vicente (Südwestecke von Portugal) anliegen können. Obendrein liegt vor dem Kap ein ausgedehntes Verkehrstrennungsgebiet, sprich eine Autobahn für Schiffe mit je zwei Fahrspuren in beide Richtungen und eine weitere für die Fischer. Da wollen wir nicht durch, sondern möglichst nördlich dran vorbei.


Freitag, 1. April 2022 bis Montag, 4. April 2022

Die Tage und Nächte verlaufen in Wachwechselroutine. Wir haben viel zu erzählen, wenn wir gemeinsam im Cockpit sitzen. Es ist allerdings ordentlich kalt, der Nordwind fordert seinen Tribut. Deshalb hält sich die Freiwache oft genug auch unter Deck auf.

Eines Abends umspielt uns eine Delfingruppe. Allerdings nehmen sie kaum Notiz von uns. Das sonst häufige Mitschwimmen vor, neben und unter dem Bug interessiert die Burschen kaum. Wir sind unsererseits zu träge, die Meeressäuger zu fotografieren oder zu filmen. "Der Kenner genießt und schweigt", sagen wir uns.

Am Montag frischt der Wind auf. Der "Portugiesische Norder" macht seinem Namen alle Ehre. Wir tragen ohnehin seit Tagen nur noch das kleine Vorsegel und ein leicht eingerolltes Groß. Das wickeln wir noch weiter ein. Die Wellen von schräg vorn werden deutlich höher, die Piste erheblich holperiger. An Seekrankheit denken wir allerdings nicht, denn wir sind ja schon ein paar Tage unterwegs und deshalb an die Schiffsbewegungen gewöhnt. Mir geht es aber inzwischen auf die Nerven, beim Toilettengang im Vorschiff ordentlich durchgeschüttelt zu werden. Zwar könnte ich auch die Toilette mitschiffs benutzen, aber nach mehr als einem Monat unterwegs auf dem offenen Meer habe ich mich an "meine" Toilette im Vorschiff gewöhnt. Nur muss ich mich jetzt mit beiden Händen festhalten und zum An- und Ausziehen an der Wand abstützen. Es reicht mir mit Schüttelei...

Dienstag, 5. April 2022

Mit um die 30 Knoten Wind und zwei bis drei Meter hohen Wellen von schräg vorn wird der Kurs sportlich. Obwohl unser Bug nach Nordost zeigt, werden wir von Wind, Wellen und auch vom nach Süden setzenden Strom effektiv nach Südosten abgelenkt. Wir kämpfen tapfer um jede Meile, aber wir können einen Kurs Richtung Cabo de Sao Vicente nicht halten, es geht einfach nicht. Am frühen Nachmittag stehen wir auf der Breite des Südrandes des Verkehrstrennungsgebietes vor dem Kap. Glücklicherweise lassen Wind und Welle etwas nach. Um die Schiffsautobahn nicht queren zu müssen, wollen wir nördlich davon vorbei. Um dorthin zu kommen, muss die Maschine für ein paar Stunden ran.

Kurz vor 18 Uhr melden wir uns per Funk bei der Verkehrsleitzentrale an und teilen mit, dass wir direkt am nördlichen Rand außerhalb des Verkehrstrennungsgebietes passieren wollen. Der Mann am Funk bedankt sich, er hat uns zwar schon auf dem Schirm gesehen, jedoch keine Position von uns. Ich runzele die Stirn. Wieso das? Wir haben doch ein AIS, was unsere Position mitteilt? Na gut, wird sich irgendwie klären.

Als wir an der Nordwestecke des Trennungsgebietes angekommen sind, rollen wir die Segel wieder aus, denn hoch am Wind können wir so gerade eben den Kurs entlang des Randes halten. Robert ist amüsiert. Da sieht man auf der Seekarte eine Autobahn samt Leiplanken. Schaut man aber über das Wasser, sieht man von alledem nichts, sondern nur Wasseroberfläche wie seit Tagen schon. Keine Tonnen, keine Baken, nichts. 

Während wir die Eingänge zu den Fahrstreifen queren, halten wir sauber Ausschau nach Dickschiffen, deren Kurs wir kreuzen. Eins kommt bedrohlich nah auf uns zu. Wir schaffen es vor ihm durch, bin ich mir relativ sicher. Aber mittendrin schwächelt etwas der Wind, wir werden langsamer. Unaufhaltsam nähert sich der dicke Pott von Norden und wird immer größer. Der Fahrstreifen ist etwa zweieinhalb Seemeilen breit. Der Frachter hält allerdings recht genau auf den östlichen Rand der Einfahrt zu, genau dahin, wohin wir uns mit leider reduzierter Geschwindigkeit retten wollen. Am Ende haben wir aber doch noch anderthalb Seemeilen Abstand, also keine Gefahr.

Als wir das Verkehrstrennungsgebiet hinter uns haben, ist es bereits dunkel geworden. Wir können einen Schrick in die Schoten geben und etwas abfallen. Das Leuchtfeuer Ponta de Sagres weist uns den Weg. Nachdem wir es passiert haben, gelangen wir in den Wind- und Wellenschatten der Steilküste. Das Wasser wird glatt, der Wind reicht noch für nettes Kaffeesegeln ohne Kaffee.

Und hier passiert Historisches. Ich habe die Schleife um den Nordatlantik geschlossen! Hier kreuzen sich die Kurslinien von Hinweg und Rückweg. Ich verspüre Stolz, aber auch Demut, dass ich das jetzt und hier erleben darf, nach all den Höhepunkten und Strapazen der Reise.

Mittwoch, 6. April 2022

Und dann kommt der Moment, den viele Langfahrtsegler in ihren Büchern beschrieben haben. Ich rieche Wald! Schönster Pinienduft weht vom Festland herüber. Nach über einer Woche auf dem offenen Meer, jetzt mit einer Küste in Luv, die man im Dunkeln kaum sehen kann, ist der Geruch von Wald und Vegetation ein echter Genuss.

Der Wind schwächelt, sodass wir nur noch mit um die drei Knoten vorankommen. Aber nach dem Amwindkampf der vergangen Tage nehmen wir die schlappe Geschwindigkeit gern für das glatte Wasser und den sanften Wind in Kauf.

Unmittelbar an der Halbinsel vor Lagos müssen wir noch das Sperrgebiet einer Fischfarm umfahren. Dann geht es unter Maschine um die Ecke nordwärts in die Hafeneinfahrt von Lagos. Wir machen am vordersten Ende des Wartestegs vor dem Marinabüro von Lagos fest. Es ist halb fünf Uhr morgens.

Route von Horta nach Lagos

Unsere Route von Horta auf den Azoren nach Lagos in Portugal

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