Flagge der British Virgin Islands

Flagge der British Virgin Islands

Freitag, 28. Januar 2022

Die Nachtfahrt verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Freundlicherweise können wir ohne weitere Segelmanöver die Inselgruppe direkt anliegen. Die British Virgin Islands liegen mehr oder weniger beidseits eines breiten Sunds mit Namen Sir Francis Drake Channel. Gegen Mittag steuern wir eine Durchfahrt durch die südöstliche Inselkette an, die Salt Island Passage. Salt Island liegt rechter Hand, links eine fiese Untiefe namens Blonde Rock. Am Südufer von Salt Island befindet sich eine passabel geschützte Ankerbucht namens South Bay - der Name ist Programm. Dort liegen viele Ausflugsboote, deren Gäste sich badend im Wasser tummeln. Sieht einladend aus, aber erst müssen wir ja wieder mal einklarieren. Schließlich ist heute Freitag. Wer weiß, wann die Behörden ins Wochenende gehen oder - wie in der Rodney Bay auf St. Lucia - einen Preisaufschlag für Wochenendarbeit erheben. Also queren wir den Sir Francis Drake Channel und segeln, ohne seit St. Martin einmal die Segelstellung zu ändern, direkt in die Bucht von Road Town, der Hauptstadt der Insel Tortola und der British Virgin Islands.

Geradeaus liegen Kreuzfahrtschiffe an einer langen Mole, links davon befindet sich im Westen der Bucht ein Fährzentrum. Dort sind die Einklarierungsbehörden. Wir ankern auf einer flachen Stelle zwischen Kreuzfahrtanleger und Fährstation auf etwa fünf Metern Wassertiefe. Die Stelle mit ca. drei Metern hat bereits eine andere Yacht belegt, deren Familiencrew schon ihr Schlauchboot im Wasser hat und gerade einsteigt. Bis wir soweit sind, ist es früher Nachmittag. Wir schippern mit dem Dinghi rüber und wollen an einer etwa brusthohen Betonpier festmachen. Um unser monströses Schloss als Diebstahlsicherung zu befestigen, steuern wir ein Geländer an. Als ich bereits das Schloss um den Holm schlinge, kommt ein Uniformierter und erklärt in unmissverständlichem Tonfall: "Anschließen verboten!" Ich versuche nachzufragen, warum. Darauf wird der gute Mann giftig und wiederholt seine Anweisung. Okay, okay, schon gut. Wir knoten das Dinghi nur fest und klettern auf die Pier. Jetzt fragt uns der Beamte in wesentlich freundlicherem Unterton nach unserem Begehr. Er zählt uns die Stationen der Reihe nach auf, was für mich aber schon Reizüberflutung darstellt.

Erste Station: Nursery, also Gesundheitscheck. Zwei weiß mit Häubchen gewandete junge Krankenschwestern prüfen die  Körpertemperatur per Infrarotmessgerät, schauen sich die Covid-Testergebnisse auf unserem Handy an, geben Stempel und verweisen uns an die nächste Station.

Dort, am Schalter der Grenzkontrolle, wartet bereits die Familie, die kurz vor uns geankert hatte, und noch eine Kleingruppe junger Männer. Nachdem beide Gruppen abgefertigt sind, verschwindet der Beamte. Warten. Und kommt einfach nicht wieder. Weiter warten. Nach gefühlten zehn Minuten sind wir dann endlich dran. Pässe, Formular ausfüllen, Gesichtskontrolle, das ganze Programm... Aber auch das geht vorbei.

Nächste Station: Zoll. Wir durchschreiten eine kleine Halle mit Stapeln von Kartons und Kisten. Kein Mensch zu sehen. Ah, einmal um die Ecke! Dort sollen wir warten. Vor uns ist ein kräftig gebauter, älterer Local dran, der lautstark mit der Beamtin in fortgeschrittenem Alter diskutiert. Offenbar wiehert seiner Ansicht nach der Amtsschimmel. Das macht nicht gerade Hoffnung. 

Als wir schließlich an der Reihe sind, bittet mich der gemächlichere der beiden Büroinsassen herein. Ich erkläre ihm, dass ich die Anmeldung bereits im Internet ausgefüllt habe. Er sucht umständlich in seinem Computer, schaut hier und da in Menüs nach und findet: nichts. Naja, halb so schlimm, meint er, dann füllen wir eben gemeinsam noch einmal aus. Das zieht sich, weil ich ihn schlecht verstehe, die Angaben in jedem Feld buchstabiert werden müssen und er mit dem jeweiligen Dokument vergleicht. Seine Fähigkeiten im Tastaturschreiben beschränken sich auf die beiden Zeigefinger. Die Digitalisierung der Behörden ist hier in einem Teil von Großbritannien also auch wie in Deutschland weit im Hintertreffen. Ich versuche, nicht allzu offensichtlich mit den Augen zu rollen. Er ist ja doch eigentlich ganz nett dabei.

Nach dieser Prozedur folgt die letzte Station: Kasse! Leider ist der Schalter leer. Wir warten. Die Ausgangstür ins Freie liegt direkt vor uns, aber wir sind ja noch nicht fertig. Irgendwann kommt die ältere Uniformierte, die vorhin mit dem Hünen diskutiert hat. Fragt, was wir auf dem Herzen haben. Einmal bezahlen, bitte! Offenbar ist sie die Chefin hier, schwingt sich hinter den Tresen, findet nach kurzem Suchen den richtigen Stempel und die Schlüssel für die Kasse. Es sieht jedenfalls so aus, als sei diese Station nicht ihr Hauptarbeitsplatz. Sie springt nur schnell mal ein, um uns die Wartezeit zu verkürzen. Auch sie verstehe ich kaum, Merle raunt mir die entsprechenden Anweisungen zu. Dollarnoten wechseln den Besitzer, Stempel und Unterschrift, puh, fertig! Draußen vor der Tür steht rauchend und plaudernd eine jüngere Uniformierte. Wir vermuten, das ist die eigentliche Kassenwartin. 

Wir wollen zuerst nach Virgin Gorda im Ostteil des Archipels. Zwei Bekannte, die meinen Facebook-Eintrag kommentiert haben, schwärmen wärmstens von dieser Insel. Merle wiederum hat von The Baths gelesen, Weltkulturerbe und Nationalpark. Das müssen wir auf jeden Fall sehen. Wir gehen ankerauf. Weil wir nun aber doch mit Ostkurs den Passatwind von vorn haben, muss die Maschine ran.

Als wir schließlich in die Saint Thomas Bay vor der "Hauptstadt" Spanish Town einbiegen, bricht bereits die Abenddämmerung herein. Auf dem in der Seekarte ausgewiesenen Ankerplatz befindet sich ein Bojenfeld. Alle Bojen sind besetzt. Wir kreisen durch die Lücken, aber nirgends haben wir genug Abstand zu den anderen Booten. Schließlich entscheide ich mich für einen Platz zwischen Ufer und der ersten Bojenreihe und fiere die Ankerkette. Prompt erscheint auf dem Nachbarboot eine Seniorin und lamentiert, wir seien "too close!" Allerdings haben wir in den vergangenen Wochen schon deutlich enger geankert. Wegen der hereinbrechenden Dunkelheit und der langen Nachtfahrt mit anschließender Einklarierungsprozedur bin ich etwas genervt. Ich schlucke die Entgegnungen, die mir durch den Kopf schießen, herunter und drehe noch zwei Kringel, um einen anderen Platz zu finden. Die Stelle, an der unser Anker schließlich erneut fällt, ist bedenklich dicht unter Land. Wenn über Nacht der Wind dreht, wird's gefährlich flach unter uns. Aber Passat? Der dreht doch nicht. Oder? Mittlerweile ist es stockfinster. Schluss jetzt, Essen machen und Ende für heute.

Taxi Virgin Gorda

Der freundliche Taxi-Service

Samstag, 29. Januar 2022

Am nächsten Morgen schaue ich mir als erstes die Wassertiefen um uns herum an. Tatsächlich hat der Wind oder die Tide unsere Richtung zum Land etwa um 90 Grad gedreht. Wir liegen jetzt also nicht mehr senkrecht zum Ufer, sondern parallel mit dem Bug Richtung Süden. Bei Tageslicht erkennt man an der mehr oder weniger hellen Türkis-Wasserfarbe die Tiefe über Sandboden und an der braunen Farbe die Steine und Korallenköpfe. Ein paar Steine liegen so etwa fünf Meter neben uns an Backbord. Das ist bedenklich nahe. Während des Frühstücks verfolge ich die Bewegungen des Bootes. Kommen die Steine näher? Quatsch, kommen wir den Steinen näher? "Rocks don't move" heißt die Regel, wenn diskutiert wird, ob man Seekarten in der Karibik nutzen kann, auch wenn sie hoffnungslos veraltet sind.

Das Ergebnis der Prüfung beruhigt mich etwas und macht den Weg frei für den Landgang. Mit dem Dinghi schnurren wir den Slalom der Hafeneinfahrt entlang und finden einen guten Platz zum Einparken unseres Schlauchbootes. Weil es relativ früh am Morgen ist, sind nicht viele Menschen in der Marina zu sehen. Auf der Straße südwärts Richtung The Baths kommen wir zuerst an verschiedenen Markständen mit Obst, Gemüse und anderen Waren vorbei. Wir wollen uns aber frühestens auf dem Rückweg mit Einkäufen belasten, schließlich haben wir auch Masken und Flossen dabei, um im Nationalpark zu schnorcheln.

Entlang unserer Straße gibt es auch zwei Supermärkte, die wir schon vor dem Aufbruch in Google Maps ausgekundschaftet haben. Die Bewertungen sind etwas unterschiedlich. Aber auch diesen Besuch heben wir uns für den Rückweg auf, vorausgesetzt, die Läden sind dann noch geöffnet.

Weiter geht's. Ein paar hundert Meter weiter spricht uns ein älterer Herr sehr freundlich an. Ich schalte automatisch auf Abwimmel-Modus, weil ich vermute, dass er uns irgendwas verkaufen oder eine Dienstleistung anbieten will. Und richtig, er offeriert uns eine Taxifahrt zu The Baths. Ich verneine dankend, wir seien gut zu Fuß. Er wendet ein, dass der Weg recht weit sei, "for you and your wife". Ich lächele und erkläre, dass Merle nicht meine Frau, sondern meine Tochter ist. Da kriegt er sich kaum vor Bewunderung und Charme ein. So eine schöne junge Frau, ich sei zu beglückwünschen, ach wie zauberhaft! Er ist überhaupt nicht aufdringlich (das meine ich nicht ironisch, sondern ernst) und schlägt vor, wir könnten ja seine Telefonnummer notieren (siehe Foto links). Falls wir auf dem Rückweg zu erschöpft sein sollten, könnten wir gern anrufen, er würde uns dann abholen. Super Kompromiss. Ich schimpfe innerlich mit mir, weil ich anfänglich so schnell auf Abwehr geschaltet habe. War doch wirklich eine freundliche Begegnung. Das ist doch eigentlich der Grund, warum man solche Reisen macht: Land und vor allem auch Leute kennen und eventuell lieben zu lernen. Das Taxi ist übrigens ein Pickup. Auf der Ladefläche sind Bänke festgezurrt mit Zeltdach drüber.

Weg hinunter

Weg vom Eingang hinunter zum Strand

Es geht weiter entlang der Straße, durch hohes Gebüsch, dann wieder gesäumt von Häusern in sehr ordentlichem Zustand. Hier scheint man passabel zu verdienen. Schließlich geht es sanft bergauf, der Bewuchs weicht einer Grasfläche, die Straße öffnet sich zum Parkplatz. Hier ist für Autos und Busse Endstation und Ziel. Der Parkplatz ist fast leer. Das obligatorische Kassenhäuschen trägt Schilder mit den Eintrittspreisen. Wir fragen die Dame darin, ob es eine Ermäßigung für Studenten gibt. Gibt es nicht, also bitte zweimal für Erwachsene: drei Dollar pro Person - lässig. Jetzt wird es spannend. Es geht ein paar Treppenstufen hinab, dann schließt sich ein wunderschöner Wanderweg zwischen Felsbrocken an, der sanft schlängelnd hinunter Richtung Strand führt.

Eingangsschild

Mittendrin ein Schild am "offiziellen" Eingang

Nach ein paar hundert Metern im Holweg zwischen den Felsbrocken zeigt ein Schild, wo wir sind, falls wir es bis hierhin vergessen haben sollten. Oder anders: Jetzt geht's los!

Dahinter öffnet sich ein freierer Platz, umrahmt weiterhin von Felsen. Hier gibt es ein paar Tisch-Bank-Kombinationen, eine Art Kiosk mit Getränken und Snacks, eine Station mit Schließfächern, die schon bessere Zeiten gesehen haben, und den obligatorischen Souvenir-Verkauf. Ein Strand schließt sich an, ein paar Badegäste tummeln sich in den Wellen oder schwimmen. Es ist recht wenig los. Liegt es daran, dass gerade kein Kreuzfahrtschiff in Road Town liegt? Oder weil Samstag ist? Keine Ahnung, wir freuen uns einfach.

Merle vor Felsen

Merle vor imposanten Felsformationen

Dass man in der Karibik beim Baden auch frieren könnte, darauf hatte uns niemand vorbereitet. Mit blauen Lippen machen wir uns auf den Rückweg. Dabei machen wir noch einen Stopp zum Photo Shooting vor einer großartigen Felsenkulisse. Merle hat sehr genaue Vorstellungen, wie die Bilder für Instagram aussehen sollen. Leider ist der Herr Papa zu dämlich, um die richtigen Bildausschnitte zu treffen, vor allem ohne Brille. Immer und immer wieder genügen die Schnappschüsse nicht den hohen Ansprüchen des Models. Irgendwann reicht's dann aber doch. 

Jetzt am Nachmittag ist auch die "Schwimmhalle" gänzlich leer von anderen Besuchern, sodass wir auch dort noch traumhafte Bilder und Videos aufnehmen können. 

Über kurze Treppchen, Leitern, an Geländertauen, durch enge Löcher, über und unter Felsblöcken bahnen wir uns den Rückweg. An manchen Stellen muss ich den Rucksack vom Rücken nehmen, damit ich durch sehr enge Löcher passe. Im sicherheitsbewussten Deutschland müsste man bei so einer Tour wahrscheinlich Helm tragen.

lange Schatten auf dem Parkplatz

Lange Schatten auf dem Parkplatz

Als wir oben an der Straße ankommen, ist das Kassenhäuschen bereits geschlossen, der Parkplatz verwaist. Wir trotten unseren langen Schatten hinterher. Der Wunsch nach dem am Vormittag angebotenen Taxi kommt nicht auf, wir sind zwar nicht mehr taufrisch, aber kräftig genug für den Rückweg zu Fuß. 

Am ersten Supermarkt machen wir Halt und schauen uns die Halle von innen an. Erlebnis-Shopping der anderen Art: Hier liegt die Ware in Industrieregalen, die Wände sind unverkleidet. Nur die Kühlregale machen einen professionellen Eindruck. Gleichwohl ist die Halle gut besucht. An der Kasse müssen wir sogar Schlange stehen - wie ungewohnt! In Bezug auf die Einkaufsmengen haben wir uns zurückgehalten. Wer weiß, was der andere Supermarkt an Waren und Preisen bietet?

Mit den bereits gefüllten Einkaufstaschen wartet Merle draußen, während ich mich im anderen Laden umschaue. Das Preisniveau ist ähnlich, das Angebot an Obst und Gemüse ist reichhaltiger. Auch hier herrscht Betrieb. Möglicherweise deshalb, weil Wochenende ist, die meisten nicht arbeiten und morgen, am Sonntag, die Familie versorgt sein will. Aber was weiß ich schon über die hiesigen Gepflogenheiten?

Cane Garden Bay

Nordrand der Cane Garden Bay

Sonntag, 30. Januar 2022

Morgen wollen wir uns mit Schwiegermutter und Lebensabschnittsbegleiter, die mit "Mein Schiff" hier unterwegs sind, in Road Town treffen. Die Bucht von Road Town haben wir bereits vorgestern beim Einklarieren begutachtet und nicht unbedingt als guten Ankerplatz empfunden, weil nach Osten in Richtung Passat offen und sehr belebt. Stattdessen machen wir uns auf den Weg "hintenrum" auf die Westseite von Tortola. Von unserem Ziel, der Cane Garden Bay, muss man mit dem Taxi einmal über die Passhöhe, um nach Road Town zu gelangen, was in weniger als einer halben Stunde abzuhaken ist.

Der Seeweg zur Cane Garden Bay ist interessant und abwechslungsreich, weil es in engen Passagen zwischen den kleinen Inseln hindurch geht. Als Segelrevier bieten die British Virgin Islands ähnlich kurze Wege mit vielen Ankerplätzen und Buchten wie Kroatien. Nicht umsonst ist Yachtcharter hier auch bei Europäern beliebt. Das Wasser ist glatt, der Wind leicht, aber nicht zu schwach - Segeln wie auf der Talsperre, auch bezüglich der drehenden Winde in den Düsen zwischen den Bergen.

Virgin Gorda nach Cane Garden Bay

Unsere Route von Virgin Gorda zur Cane Garden Bay

Brecher über dem Riff

Brecher über dem Riff, elende Schaukelei am Ankerplatz

Montag, 31. Januar 2022

Böses Erwachen am Morgen: Unser Zuhause schaukelt erbärmlich hin und her. Was nicht niet- und nagelfest ist, poltert zu Boden. Was schon unten liegt und rollen oder rutschen kann, rollt oder rutscht geräuschvoll hin und her. In der Koje rolle auch ich hin und her. Wenig einladend zum Aufstehen. Normalerweise hätten wir bei diesen Bedingungen alsbald die ungastliche Stätte verlassen. Aber wir sind ja heute mit Schwiegermutter und Heinz in Road Town verabredet!

Irgendwo im Westen oder Nordwesten hat es gewaltig Starkwind gegeben. Der daraus resultierende Wellengang kommt aus der "falschen" Richtung direkt in die vermeintlich so gut geschützte Bucht herein. Die Wellen brechen zwar am Riff. Trotzdem herrscht aber im Innern der Bucht ein Seegang der fiesen Art. Die englische Yacht, die gestern Nachmittag neben uns vor Anker lag, hat bereits die Bucht verlassen. Andere machen sich gerade auf den Weg.

Ich mache mir Sorgen, das Schiff den ganzen Tag bei diesen Bedingungen unbeobachtet hier liegen zu lassen. Geht aber nunmal nicht anders. Schweren Herzens machen wir uns auf den Weg. 

Das Dinghi Dock wird alle Nase lang von den hohen Wellen überspült. Dort mit dem Schlauchboot anzulegen ist illusorisch. Auf der Suche nach einer Alternative wenden wir uns zur Bootstankstelle am Nordrand der Bucht. Dort gibt es eine Betonpier auf Stelzen. Es ist zwar etwas abenteuerlich, dort bei dem Wellengang auszusteigen und das Schlauchboot so anzubinden, dass es bei dem ständigen Auf und Ab keinen Schaden nimmt. Aber es ist immer noch besser als die Sliprampe, die glitschig ist und ständig von Wellen überspült wird. Dort könnten wir zwar das Dinghi an Land hochziehen, aber die Aussicht, dabei pitschenass zu werden, ist nicht gerade rosig.

Zu Fuß umrunden wir die Bucht. Dort, wo die Wellen über die Straße geschwappt sind, liegen Steine zwischen Löchern im Asphalt. Ist das immer so oder Resultat der nächtlichen Wellen? Nach einer knappen halben Stunde erreichen wir den Platz, an dem Taxis und Kleinbusse abfahren. Leider ist weder das eine, noch das andere zu sehen. Wir fragen in der Bar nebenan nach. Die regelmäßige Abfahrt laut Internet zur vollen Stunde um neun und zehn Uhr findet offenbar heute nicht statt. Eine hilfsbereite junge Frau ruft aber ein Taxi an und verkündet: "Soon come!", wobei im karibischen Zeitempfinden "soon" ein ausgesprochen dehnbarer Begriff ist, wie ich schon vor etwa 30 Jahren auf Jamaica erfahren konnte.

Zwischendurch kommen zwei Pickup-Taxis mit Senioren auf den Bänken der Ladefläche. Die beiden Fahrer erklären den älteren Herrschaften, sie haben eine Stunde Aufenthalt zur Erkundung des schönen Platzes. Danach geht es weiter auf der Inselrundfahrt. Gut zu Fuß sind die Alten leider nicht, wie wir beim Aussteigen schon erkennen können. Na dann viel Spaß...

Tatsächlich kommt nach einer knappen halben Stunde unser Taxi. 25 Dollar kostet eine Strecke. Der Fahrer schimpft über die Brandung. Gestern Abend war die Stelle, wo die hohen Wellen über die Straße spülen, noch heil. Die Brocken auf dem Asphalt sind also tatsächlich Folge der Brandung.

Die Straße windet sich steil den Berg hoch bis zur Passhöhe. Dort bietet sich ein herrlicher Ausblick zu beiden Seiten der Insel. Auf der anderen Seite geht es etwas weniger steil, aber umso kurviger wieder abwärts. Den Zielort Cruise Terminal steuert der Fahrer ortskundig an. Während er gerade fragt, wo wir aussteigen wollen, erkennen wir am Straßenrand Ylona und Heinz. 

Wir wandern auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten oder Stadtzentrum umher, finden die älteste Straße von Road Town, aber sind nicht wirklich gekickt von dem zweifelhaften Charme der Stadt. Der Verkehr auf den Hauptstraßen ist dicht, von den Gästen des Kreuzfahrtschiffs sind viele zu Fuß unterwegs. Taxifahrer bieten Rundfahrten an. Zwei Stunden mit den schönsten Orten der Insel sollen 80 Dollar kosten. Das ist Schwiegermutter zu teuer. Wir verzichten und suchen einen Pub auf, in dem sie bei einem früheren Besuch vor Jahren mit der damaligen Reisegruppe häufig gegessen hat. Das Essen ist okay, der Preis für hiesige Verhältnisse normal. 

Weil Merle und ich morgen Richtung Turks & Caicos Inseln aufbrechen wollen, müssen wir wieder mal ausklarieren. Wir stehen schon mehr oder weniger zufällig vor dem Fähranleger mit den Behörden. Ich habe vorsorglich alle Papiere zum Ausklarieren dabei. Der Vorgang geht jetzt relativ zügig vonstatten. Die drei anderen warten draußen, schauen sich auf dem belebten Platz um und holen sich ein Getränk oder Eis.

Vor den Geldautomaten der Stadt stehen lange Schlangen von Wartenden. Ach ja, es ist Monatswechsel! Bei einigen könnte wohl am Ende des Geldes noch zuviel Monat übrig sein. Kurz vor dem Cruise Terminal nehmen wir auf einer überdachten Restaurant/Bar/Cafe-Terrasse mit Blick auf den Yachthafen Platz. Nette Atmosphäre, nette Bedienung, nur mäßig besucht - also ganz nach unserem Geschmack.

Anschließend schlendern wir Richtung Kreuzfahrtanleger. Für die Einreise auf Turks & Caicos brauchen Merle und ich mal wieder einen PCR-Test. Nach längerem Suchen finden wir auf der Rückseite der Ladenzeile vor dem Cruise Terminal einen Geldautomaten ohne Schlange und die Teststation. Nach recht kurzer Wartezeit auf die Testung einer anderen Kleinfamilie sind wir dran. Wie üblich erhalten wir das Testergebnis per E-Mail auf unser Handy.

Abschiesdfoto vor Mein Schiff

Beweisfoto mit Kreuzfahrtschiff

So, das war's dann. Bevor Oma und Heinz ihr "Mein Schiff" besteigen, brauchen wir noch das offizielle Beweisfoto: Wir waren hier! Die vielen Gäste des Schiffes, die vom Landgang zurückkehren, machen einen müden und technisch nicht so versierten Eindruck. Dann kommt ein junger Mann vorbei, offenbar Crewmitglied auf Landausflug. Wir bitten ihn, uns zu fotografieren. Er kennt sich mit Handyfotos aus, weiß auch, dass irgendwer immer doof guckt, und schießt gleich eine ganze Serie zum Aussuchen. Vielen Dank!

Der Abschied danach fällt kurz, aber herzlich aus. Wir sehen uns in zwei Monaten zuhause! Macht's gut und lasst euch nicht unterkriegen!

Vor dem Cruise Terminal stehen viele Taxis, aber alle ohne Fahrer. Die umringen nebenan einen großen Tisch und trinken Alkoholfreies zum Feierabend. Wir fragen, ob uns einer der Herren nach Cane Garden Bay fahren kann? Ein bisschen macht es den Eindruck, dass keiner so recht Bock hat, seinen Feierabend zu unterbrechen. Aber 25 Dollar Umsatz sind schließlich auch nicht schlecht. Einer erbarmt sich, trinkt noch aus, dann geht's los. 

Die kurvige Strecke bergan, Passhöhe, auf der anderen Seite steil bergab - das Abtauchen auf die steile Abwärtsstrecke kommt mir ein bisschen vor wie in der Achterbahn. Spannung: Ist unser Schiff noch da? Erleichterung: Ja, es schaukelt noch an derselben Stelle hin und her.

Unser Dinghi hängt an der Wand der Betonpier halb in der Luft, denn jetzt haben wir Niedrigwasser. Außerdem müssen wir erstmal das hineingeschwappte Wasser ablaufen lassen. Wir beeilen uns, denn die Schaukelei in dieser Bucht wollen wir keinen unnötigen Moment länger ertragen müssen. Zur Insel Jost van Dyke gegenüber brauchen wir ungefähr eine Stunde. Die Hauptbucht dort ist vom hereinrollenden Schwell abgewandt und verspricht eine ruhigere Nacht.

Die Ausfahrt durch den Riffpass ist bei der immer noch vorherrschenden Welle etwas knifflig. Sobald wir durch sind, lässt der Wellengang aber fast gänzlich nach. Das ist der Tsunami-Effekt: Tsunami heißt übersetzt "Welle im Hafen". Bei großer Wassertiefe merkt man draußen von den Wogen fast nichts. Erst in Landnähe oder in Bucht oder Hafen steilen sich die Wellen bei der deutlich geringeren Wassertiefe gewaltig auf und entwickeln eine zerstörerische Kraft.

Die Überfahrt gestaltet sich ohne zusätzliche Segelmanöver angenehm unkompliziert. Wir steuern den Great Harbour an. Die White Bay westlich davon wird zwar als touristische Attraktion beschrieben, aber die Einfahrt durch das vorgelagerte Riff erscheint mir bei den abendlichen Lichtverhältnissen und angesichts der geringen Wassertiefe nicht so prickelnd.

Great Harbour ist knallvoll von Bojen- und Ankerliegern. Wir erwischen einen Platz ganz im Osten zwischen Bojenfeld und den Unterwassersteinen dicht am Ufer. Die schwarze englische Yacht, die gestern in Cane Garden neben uns geankert hat, liegt hier ebenfalls. Wir wären auch längst hier, wenn nicht die Verabredung mit Schwiegermutter gewesen wäre. 

Warm gegessen haben wir schon in Road Town, deshalb brauchen wir vor dem Schlafengehen nur noch einen kleinen Imbiss.

Cane Garden Bay nach Jost van Dyke

Unsere Route von der Cane Garden Bay nach Jost van Dyke

Bäckerei

Bäckerei auf Jost van Dyke

Im ersten Laden, gleichzeitig auch Bar und Restaurant, ist die Auswahl eher bescheiden. Aus dem kleinen Angebot nehmen wir nur das Notwendigste oder, anders gesagt, nur das, was einigermaßen frisch aussieht. Das ist nicht gerade viel. Brot Fehlanzeige.

Nächster Laden: Gleiches Bild, Restaurant, Bar, Cafe, Laden. Wegen Mittagspause ist aber der Laden geschlossen.

Das Internet verrät uns, dass es hier außerdem eine Bäckerei gibt. Die befindet sich nicht an der Wasserfront, sondern am Ende einer Stichstraße ins Landesinnere. Es soll sogar eine Bio-Bäckerei sein. Wir sind gespannt. Im Tresen liegen tatsächlich mehrere Brote, die nach so etwas wie Vollkorn aussehen, dazu das obligatorische Banana Bread, das hier in der Karibik weit verbreitet ist. Auf St. Lucia hatten wir bereits zwei gekauft. Es ist eher mit Honigkuchen zu vergleichen, süß, saftig, nicht allzu fest, dafür aber gut klebrig. 

Preisschilder gibt es nicht. Die nicht gerade übermotivierte Verkäuferin nennt astronomische Preise. Wir vermuten, dass sie nach Gutdünken einen Touristentarif aufruft. Oder etwa nicht? Egal, wir brauchen Essbares für die lange Überfahrt, wir nehmen Das Vollkornbrot und ein Banana Bread, zusammen 11 Dollar. Puh, sportlich, der Preis!

großzügiges Dinghi Dock

Allgemeiner Anleger und Dinghi Dock, sehr großzügig gebaut und gut in Schuss

Dann haben wir aber alles. Wir steigen ins Dinghi und kehren an Bord zurück. Gern hätten wir hier entspannt ein bisschen Zeit verbracht. Aber der doch etwas straffe Zeitplan sagt uns, dass wir uns doch sputen müssen. Einerseits wird Merle Anfang März in München ihre Doktorandenzeit beginnen, andererseits sind wir auf/in Provenciales mit Jan-Peter verabredet, damit ich sein Iridium Go! übernehmen kann, das er mir für den Rückweg über den Atlantik angeboten hat. Drittens warten noch ca. 1.000 Seemeilen Bahamas auf uns, für mich ein weiterer Höhepunkt der Reise. Also weiter! Der Anker geht hoch, wir verlassen die Bucht.

Dreimaster

Stattlicher Viermaster vor Anker außerhalb des Riffes der White Bay

Vor der benachbarten White Bay mit einer berühmten Bar ankert ein Viermaster, vermutlich ein Kreuzfahrtschiff unter Segeln. Ach ja, seufz, Abschied nehmen wir zwar häufig, aber hier überfällt mich angesichts der ersten mehrtägigen Überfahrt nach langer Zeit ein wenig Wehmut.

Warum mehrtägige Überfahrt? Die US Virgin Islands liegen doch in Sichtweite? Ja, richtig. Aaaber für die USA haben wir kein gültiges Visum für die Einreise mit dem eigenen Boot. Dafür ist nicht das allgemeine, online zu beantragende Touristenvisum für 90 Tage Aufenthalt, sondern das sogenannte B2-Visum nötig. Das ist zwar sechs Monate gültig. Allerdings ist ein Interview in der US-Botschaft in Frankfurt, Berlin oder München obligatorisch. Das hat nicht in unseren Zeitplan gepasst.

Im Internet bei noonsite.com finden wir eine Anleitung, wie man trotzdem in die US Virgins käme. Man nimmt eine normale Fußgängerfähre von den British Virgins zu den US Virgins. Beim Betreten des US-Bodens erhält man das normale Touristenvisum. Fährt man dann mit der Fähre zurück und kommt mit dem eigenen Boot wieder, ist das Touristenvisum weiter gültig. Laut noonsite alles völlig legal und von US-Beamten bestätigt. Wir sparen uns aber den Aufwand und lassen die US Virgins links liegen. Ebenso Puerto Rico, wofür uns ebenfalls das Visum fehlt.

Abschied von den British Virgin Islands

Links Jost van Dyke, rechts Tortola, in der Mitte der Viermaster - Good bye British Virgins!

Die Endlichkeit dieser außergewöhnlichen Reise wird mir schmerzlich bewusst. Die Inseln über dem Wind, die Kleinen Antillen, liegen hinter uns. Auf den Turks & Caicos Inseln nördlich der Dominikanischen Republik befinden wir uns dann längst im Dunstkreis der Großen Antillen, Hispanola, Jamaica und Kuba.

Warum landen wir nicht in der Dominikanischen Republik? Auf der Nordseite der Insel gibt es nur wenige Häfen, die vor dem Passatwind und der dazugehörigen Dünung einigermaßen geschützt sind. Um von der besser geschützten Südostküste wieder um die Insel herum Richtung Nordwesten zu segeln, bräuchten wir mehr Zeit, die wir nicht haben.

Später erfahren wir von Jan-Peter, dass er mit seinem kleinen Katamaran dort war. Wegen der hohen Dünung, die in der Hafeneinfahrt stand, hat die Hafenverwaltung das Verlassen des Hafens tagelang verboten, ja, sogar die Hafeneinfahrt mit einem dicken Militärschiff versperrt, damit niemand auf die Idee kommt, in See zu stechen und darin umzukommen. Also haben wir es richtig gemacht.

See zwischen BVI und Caicos

Nachmittagssonne an Backbord, voraus irgendwo Grand Turk, um uns Wellen, Wasser und Weite

Mittwoch, 2. Februar 2022 und
Donnerstag, 3. Februar 2022

Mehrere Tage am Stück auf See ringt uns wieder ein bisschen Respekt ab. Nach Biskaya, der Überfahrt von Portugal zu den Kanaren und - na klar - den 19,5 Tagen Atlantiküberquerung ist das hier seit mehr als einem Monat das erste längere Stück von etwas über 400 Seemeilen.

Aber schnell kommen wir in den Rhythmus. Das Wetter zeigt sich heiter bis wolkig, der Passatwind weht mit einer Stärke, die die Reise schnell macht, aber keinesfalls kritisch oder gar gefährlich. Die Wellen rollen als unendliche Kette von schräg achtern heran, heben das Boot sanft und rollen unter uns durch. Es sind eher kürzere, wenig hohe Wogen, gemessen an denen, die uns zwischen Gran Canaria und Union Island ehrfürchtig achteraus nach oben blicken ließen. Aber das war ja seinerzeit auch von Tag zu Tag sehr unterschiedlich.

Die Nachtwachen verlaufen im gewohnten 4-Stunden-Zyklus. Weil es warm genug ist, reichen lange Hose, Regenjacke und eine leichte Decke über den Beinen, um nicht zu frieren. Einer Eingebung folgend, hatte ich im Herbst vor der Abfahrt vom Ijsselmeer eine schwarze Kunstfaserdecke mit Werder-Bremen-Logo drauf aus Merles Werder-Devotionalien-Sammlung eingepackt, ohne Merle um Erlaubnis zu fragen. Anfänglich hatte sie darüber gemeckert. Inzwischen ist die Decke allerdings eine feste Begleiterin in jeder Nacht. Die wenigen Salzwasserduschen, die sie abbekommen hat, hat sie klaglos weggesteckt. Mittlerweile kann ich mir keine Nachtwache mehr ohne die Werder-Decke vorstellen.

Alles in allem eine zügige und unspektakuläre Überfahrt. So wünscht man sich lange Seestücke!

Jost van Dyke nach Grand Turk

Unsere Route von Jost van Dyke in den British Virgin Islands nach Grand Turk in den Turks & Caicos Islands

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